Zur See

Zur See handelt von Bewohnern einer Nordseeinsel, die zwischen Tradition und Tourismus leben.
Dörte Hansen

Penguin Verlag, 2022

Rezension

Kurzmeinung

Rau und melancholisch. Ein eindringliches Buch.

Inhalt

Familie Sander ist seit Generationen auf der Nordseeinsel beheimatet. Die Männer fuhren zur See, währenddessen warteten die Frauen zu Hause. Hanne Sander, die nicht mehr nur warten wollte, verwandelte ihr Haus im Sommer in eine Pension für Urlaubsgäste. Ihre drei Kinder zog sie fast alleine groß, weil Jens, ihr Mann, sich nach einigen Jahren Seefahrt in die Einsamkeit zurückzog, um Vögel zu beobachten.

Schon längst beherbergt Hanne keine Gäste mehr, die ziehen die Annehmlichkeit der Inselhotels vor. Dort, wo man früher vom Fischfang lebte, ist mittlerweile der Tourismus die größte Einnahmequelle. Schleichend setzte die Veränderung ein und treibt nun immer rasanter voran. Die verbliebenen Inselbewohner begegnen dem Wandel mit Pragmatismus.

Dieser Wandel verändert auch das Leben der Sanders, zuerst nur wenig bis sich innerhalb eines Jahres die Ereignisse überschlagen.

Handlung

Hanne Sander lebt in einem der alten Seemannshäuser mit Defter Fliesen und Knochenzaun rundherum. Seit ihr Mann Jens sowohl die Seefahrt als auch seine Familie verließ, um in der Einsamkeit Vögel zu beobachten, versucht sie mit eingeübter Routine alles zusammenzuhalten.

Früher vermietete sie im Sommer Zimmer an Urlaubsgäste, doch als die Ansprüche der Gäste ihre Möglichkeiten überstiegen, gab sie die Pension auf und arbeitet seitdem im Inselmuseum. Ihr ältester Sohn Ryckmer folgte der Familientradition und fuhr zur See. Doch nun hat er sein Kapitänspatent verloren ebenso wie den Job auf der Fähre, die die Insel mit dem Festland verbindet, weil der Alkohol sein bester Freund geworden ist.

Eske, Hannas Tochter, arbeitet im Altenheim der Insel. Auf ihrem Körper gibt es kaum noch Stellen, die nicht tätowiert sind. Im Auto dröhnt Metal Musik, wenn sie über die Insel fährt. Sie verabscheut den Tourismus und die damit einhergehenden Veränderungen auf der Insel. Einmal im Jahr gönnt Eske sich ein paar Wochen Auszeit auf dem Festland. Ein paar Wochen, die nur ihr gehören.

Henrik, der jüngste Bruder, ist nie zur See gefahren, läuft grundsätzlich barfuß und sammelt allmorgendlich am Strand das Treibgut auf, um daraus Kunstwerke zu erschaffen.

Auch andere Inselbewohner versuchen den Spagat zwischen normalen Inselleben und Tourismusattraktion hinzubekommen. Doch die alten Traditionen weichen immer weiter den Anforderungen der Urlaubsgäste. Kaum ein Kutter fährt noch zur See, um Fische und Krabben zu fangen.

Auch die Familie Sander bleibt davon nicht unberührt. Der Wandel geschieht erst langsam, um dann innerhalb eines Jahres das Leben der Familie grundlegend zu ändern.

Meinung

Wie schon in ihren Romanen „Altes Land“ und „Mittagsstunde“ trifft Dörte Hansen auch hier einen Ton, der ähnlich wie die See, gleichsam rau und herzlich ist. Manche Sätze sind wie Regen, der dem Leser ins Gesicht peitscht, manche wiederum lesen sich, als ob man auf die ruhige See schaut, die bis zum Horizont in der Sonne glitzert. Als Leser:in spürt man die Empathie, die die Autorin ihren Figuren entgegenbringt. Im leicht melancholischen, nüchternen Stil erzählt der Roman von Inselbewohnern, die Stück für Stück ihre Heimat an die Touristen abgeben.

Mich hat „Zur See“ begeistert, aber es stimmt mich auch nachdenklich, angesichts des beschriebenen Wandels, den es ohne Zweifel auf den Inseln in der Nordsee und sicher auch in der Ostsee gibt. Vom Fischfang, der die Menschen jahrhundertelang ernährt hat, kann heute niemand mehr leben. Die Haupteinnahmequelle ist der Tourismus, der diese kleinen Inseln immer mehr in den Griff bekommt. Die jungen Leute verlassen die Inseln, um auf dem Festland zu leben, denn dort gibt es eine Zukunft für sie.

Der Roman wird aus den unterschiedlichen Perspektiven der Figuren heraus erzählt, was ich als Bereicherung empfunden habe, weil die einzelnen Teile ein Ganzes ergeben.

Fazit

Ein ehrlicher Roman, leise und schnörkellos, aber so voller Wucht, dass man hineintaucht.

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