Über Carl reden wir morgen

Judith W. Taschler
erschienen im Paul Zsolnay Verlag, 2022
Rezension
Kurzmeinung
„Über Carl reden wir morgen“ handelt von einer Familien über drei Generationen hinweg. Eine Geschichte, die vom Leben im 19. Jahrhundert erzählt, von Träumen und Schicksalsschlägen.
Inhalt
Die Familie Brugger ist fest im österreichischen Mühlviertel verwurzelt. Seit Generationen betreiben sie dort eine Mühle. So steht für Anton Brugger fest, dass auch sein einziger Sohn Albert eines Tages die Mühle weiterführen wird. Doch Albert will zuerst in die Welt hinaus. Einige Jahre später heiratet er Anna, eine aus Wien stammende Bürgerliche, die mit der Heirat ein skandalöses Geheimnis vertuscht. Albert übergibt die Mühle seinem Schwager und baut sich ein Geschäft als Kaufmann auf.
Den Bruggers geht es gut, sie gehören zu einer der angesehensten Familien im Mühlviertel, bis Albert einem jungen Knecht, Emil, bei sich aufnimmt, der das Handwerk des Müllers erlernen will. Es kommt zu einer schwerwiegenden Auseinandersetzung mit dem Großbauer, bei dem Emil tätig war. Ein Streit, der die Familien für lange Zeit entzweit.
Kurz nach dem Ausbruch des Erste Weltkriegs ziehen zwei Brugger Söhne in den Krieg. Eugen, einer der erstgeborenen Zwillinge, lebt schon seit Jahren in den USA. Nach dem Krieg kommt er zurück, denn sowohl der jüngere Bruder Gustav als auch sein Zwillingsbruder Carl sind gefallen. Als Eugen in der Heimat ankommt, begreift er schnell, dass nichts ist wie es scheint. Um seine Familie zu schützen, trifft Eugen eine Entscheidung, die nicht nur sein Leben grundlegend ändern wird.
Handlung
Seit Generationen betreibt die Familie Brugger eine Mühle im österreichischen Mühlviertel. Als die Gesetze sich ändern, kauft Anton Brugger die Mühle dem Landesherren ab. Somit ist für seine vier Kinder gesorgt. Kurz nach der Geburt des jüngsten, dem ersehnten Sohn Albert, verstirbt Antons Frau. Auf Antons Bitte kehrt seine Schwester Rosa zurück ins Mühlviertel. Rosa lebte zwanzig Jahre in Wien und arbeitete als Dienstmädchen bei den von Reichenbachs. Mit dem Sohn der Familie hat sie ein Kind, Theodor, der während der Revolution 1848 hingerichtet wird.
Rosa hat ein einigermaßen gutes Leben geführt und auch Ersparnisse, mit denen sie das Elternhaus im Mühlviertel herrichtet. Sie kümmert sich liebevoll um ihre Nichten und ihren Neffen und ist ihrem Bruder im Alltag eine Stütze.
Eines Tages soll Albert die Mühle weiterführen, doch ihn zieht es hinaus in die Welt. Deshalb kommt ihm die frisch eingeführte dreijährige Wehrpflicht gerade recht. Er meldet sich für die Marine. Als Albert zurückkehrt, ist sein Vater verstorben. Die Mühle überlässt er seinem Schwager und selbst gründet er ein Warenhandelsgeschäft und ein Kaufhaus. In Wien verliebt er sich in die Tochter eines Geschäftspartners. Was Albert nicht weiß, ist, dass Anna ein Skandal vertuschen muss und ihn aufgrund dessen heiratet. Anna fällt es schwer sich an das Leben auf dem Land zu gewöhnen.
Bald schenkt sie den Zwillingen Eugen und Carl das Leben, nur wenig später folgt Gustav. Der Familie Brugger geht es wirtschaftlich sehr gut. Plötzlich steht Theodor Brugger mit seiner Tochter vor der Tür und behauptet der Sohn von Rosa zu sein. Rosa ist tot, doch Theodors Aussehen lässt keinen Zweifel an seiner Behauptung. Er hat sich mehr schlecht als recht durchgeschlagen, auch vor kriminellen Handlungen scheute er nicht zurück, daher war es besser, dass er seiner Mutter nie mitteilte, dass er die Revolution überlebte. Nun ist er schwer erkrankt und sucht ein zu Hause für seine siebzehnjährige Tochter Hedwig. Die Bruggers nehmen das junge Mädchen herzlich auf.
Als Hedwig den Knecht Emil kennenlernt, verliebt sie sich. Emil ist ein unehelicher Sohn des Großbauern Eder, der auf dem Hof wie ein Sklave gehalten wird. Er möchte an seinem einundzwanzigsten Geburtstag, wenn er volljährig ist, den Hof verlassen und ein Handwerk erlernen. Da trifft es sich gut, dass die Bruggers Unterstützung in der Mühle benötigen. Hedwig überredet Albert Emil einzustellen. Es kommt zu einem heftigen Eklat zwischen dem Bauern Eder und den Bruggers. Schlussendlich bleibt Emil bei den Bruggers und heiratet Hedwig. Doch die Situation für die beiden bleibt bedrückend und somit beschließen sie ihr Glück in den USA zu suchen, doch es kommt anders als geplant.
Wenige Jahre später verlässt auch Eugen das Mühlviertel, um sich in der neuen Welt ein eigenes Leben aufzubauen. Carl bleibt zu Hause und übernimmt die Mühle, Gustav studiert Medizin und die kleine Schwester Elisabeth bleibt ebenfalls in der Heimat. Als der Erste Weltkrieg ausbricht, werden Carl und Gustav Soldaten. Gustav fällt in den ersten Kriegsmonaten. Carl versucht das beste für seine Männer herauszuholen, muss aber anerkennen, dass der Krieg seine eigenen Regeln hat. Dem neuen Zugführer Neupert missfällt Carls Beliebtheit in der Truppe, immer wieder schikaniert er Carl. Carl befürchtet das Neupert ihm nach dem Leben trachtet. In einer brenzligen Situation fällt er eine schwerwiegende Entscheidung.
Nach Kriegsende kommt Eugen aus den USA zu Besuch, da beide Brüder im Krieg gefallen sind und die Existenz seines Vaters durch ein Feuer in Schutt und Asche liegt. Eugen möchte seiner Familie helfen und nach gegebener Zeit, wenn alles geregelt ist, wieder zurück. Doch als er zu Hause ankommt, ist vieles nicht so, wie es scheint und Eugen begreift, dass es seine Chance ist, seine große Schuld wieder gut zu machen. Ob sich seine Idee wirklich als gut erweist, wird sich zeigen müssen.
Meinung
„Über Carl reden wir morgen“ ist ein faszinierendes Portrait einer alteingesessenen Müllersfamilie im österreichischen Mühlviertel. Über ein Jahrhundert und über Generationen hinweg erzählt Judith W. Taschler von der Familie Brugger, von ihren Hoffnungen, Träumen und von Schicksalsschlägen. Aber sie erzählt auch vom Leben im langen 19. Jahrhundert, vom Unterschied zwischen Stadt und Land und zwischen Adel und Bürger, von der Macht der Bauern und des Patriarchats.
Dies alles verwebt die Autorin geschickt zu einer wirklich großartigen Geschichte. Ruhig und präzise schildert sie Ereignisse aus unterschiedlichen Perspektiven, baut Zeitsprünge ein, sodass man immer wieder Neues erfährt. Damit schafft es Judith W. Taschler die Neugier aufrecht zu erhalten. Ich wollte das Buch oftmals gar nicht aus der Hand legen.
In diesem unaufgeregtem Schreibstil schwingt ständig eine leichte Melancholie des Lebens mit, was den Roman für mich besonders macht. Jede Figur nahm vor meinem inneren Auge Gestalt an sowie ich auch das kleine Dorf im Mühlviertel vor mir sah. Der Facettenreichtum der einzelnen Charaktere ist der Autorin bestens gelungen und macht die Erzählung aus meiner Sicht außergewöhnlich, denn jede Figur hat ihre helle und dunkle Seite.
Ich habe diesen Roman in nur wenigen Tagen gelesen, dennoch habe ich eine Zeit gebraucht, um diese Geschichte wirken zu lassen. Es ist ein besonderer Roman, der mich in das 19. Jahrhundert mitgenommen hat und mich zu einer stillen Beobachterin der Familie Brugger hat werden lassen.
Fazit
Der Roman erzählt von der Familie Brugger auf ganz wunderbare und unvorhersehbare Weise.
Vielen Danl für diesen Lese-Tipp, muss ich mir ansehen!
Ich wünsche dir viel Freude beim Lesen!