Verschlagwortet: Rezension

An einem Tag wie diesem

Andreas war plötzlich eifersüchtig auf Philippe. Er konnte sich das Gefühl nicht erklären. Marthe war ihm sympathisch, sie gefiel ihm, aber er war nicht verliebt in sie. Vielleicht beneidete er Philippe weniger um Marthe als um ihre Liebe zu ihm. Er selbst hatte immer darauf geachtet, nicht zu sehr geliebt zu werden, hatte sich nach jedem Schritt, den eine Frau auf ihn zugegangen war, einen von ihr entfernt. Er hatte die Verunsicherung nicht ertragen, die Abhängigkeit.

Der Duft von Schokolade

„Wozu ist Duft gut?“, fragte sie. „Wozu ist es gut, dass etwas duftet, was man doch nicht essen darf?“ „Vielleicht sind manche Düfte auch nur Essen für die Seele“, sagte August und sah sie an. Elena lachte leise, und dann küsste sie ihn. Hinter all den Düften dieser Nacht schwebte ihr eigener, bitterschöner Geruch nach Rauch, und August erinnerte sich daran, dass er sich zu Beginn in diesen Duft verliebt hatte.

Dickens und Prince

Es ist schwer zu sagen, wer von den beiden, Prince oder Dickens, die traumatischere Kindheit hatte, zumal in Anbetracht von Prince‘ Verschwiegenheit in Bezug auf sein Leben vor dem Starruhm. Dickens‘ Trauma war ganz sicher schwerwiegend, aber es kam mehr oder weniger aus heiterem Himmel über ihn, und die schlimmste Phase war uncharakteristisch kurz.

Vom Ende eines Sommers

Mein kleines Fenster war offen und ließ den Sommermorgen herein. Eine Turteltaube gurrte, und irgendwo dengelte jemand seine Sense mit einem Wetzstein. Hoffentlich war es Doble und Vater war nicht zurückgeblieben, weil es ihm nach dem Fest schlecht ging. Seine Trunkenheit schien ihn für mich verändert zu haben, und ich wollte ihn nicht sehen.

Das Buch eines Sommers

Es gibt Menschen, die so herzensgut sind, dass es mich rührt. Oder täuschte ich mich da? Täuschte ich mich, wie die ältere Dame im Flugzeug sich womöglich in mir getäuscht hatte? Hatte am Ende vielleicht jeder noch so gut wirkende Mensch seine Abgründe?

Fahrtwind

Wie stießen an, es gab einen schönen Klang, und Wyatt schleuderte die leere Flasche hoch in den Morgenhimmel, wo das Glas grün in der blauen Luft funkelte. Wir saßen auf und fuhren talwärts. Der Fahrtwind blies mir frisch durch die Haare, und ich wunderte mich nicht einmal, dass meine neuen Freunde mich gar nicht gefragt hatten, ob ich noch weiter mitfahren wollte.

Napapiiri

Paul und ich vergleichen unsere Reisepläne und stellen fest, dass sie nahezu identisch sind. Bis auf eine Ausnahme übernachten wir in den gleichen Hotels, wir haben sogar die gleichen Aktivitäten gebucht. „Echt krass“, ruft Paul. „Offentsichtlich. Ist wohl die Standardtour“, sage ich, während ich mich frage, wie Charlotte und ich dieser zwanghaften Gesellschaft, die unsere Reisepläne nahelegen, entgehen können.

Monsieur Lucile und die Suche nach dem Glück

Auch wenn dieser zweite Januar ebenso grau war wie der Neujahrstag, es umhüllte sie plötzlich etwas Leichtes, als würden sie diesem ödesten aller Monate ein Schnippchen schlagen und sich heimlich davonstehlen. Und keiner konnte das im Grunde so gut wie sie alle vier.Keiner von ihnen hatte da etwas, das ihn hielt.

Liebes Arschloch

Ich weiß, dass auf der Welt wichtige Dinge passieren und ich mich empören müsste, weil man das Krankenhaus oder die Schule oder die Kultur zerstört. Oder weil Trump 24 Stunden am Tag Scheiße redet, Russland die Homosexuellen einsperrt, China die Krise benutzt, um den Widerstand in Hongkong zu unterdrücken, hier die Migranten am helligten Tag gejagt werden, angeblich sprüht die Polizei Tränengas auf ihre Decken, damit sie sie nicht mehr benutzen können.

Die Kraft der Entbehrung

Noch nie hatte Enna so viele Menschen an einem Ort gesehen. Dicht gedrängt standen die in dunklen Farben gekleideten Arbeiter auf einem riesigen Werksgelände, auf dem von überall her ein metallisches Hämmern und Stanzen wie auch in unregelmäßigen Abständen ein lang gezogenes Zischen zu hören waren. Durch mächtige Fabriktore war immer wieder das plötzliche Auflodern von Feuer zu sehen, so als würden in innerem der Gebäude Drachen hausen. […] „Sie haben Arbeiter aus Frankreich und Belgien herbeigeschafft, die die Produktion am laufen halten“, knurrte Karl ungehalten, während sie sich mit Schieben und Drängen einen Weg durch die Massen bahnten.

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