Revolution der Träume

Andreas Izquierdo
erschienen im DuMont Buchverlag, 2021 im Rahmen der Reihe „Wege der Zeit“
Rezension
Kurzmeinung
Fesselnde Zeitreise ins Berlin, kurz nach dem Ersten Weltkrieg. Gefahren und Chancen liegen in der Luft. Großartig erzählt.
Inhalt
In „Revolution der Träume“ kommen die Freunde Isi, Carl und Artur endlich wieder zusammen. Der Erste Weltkrieg ist vorbei, aber Hunger, Armut und politische Revolten wollen nicht enden. Ihr Heimatort Thorn gehört nun zu Polen und in Berlin scheint alles möglich zu sein, seit der Kaiser abgedankt hat.
Isi hat sich dem Spartakusbund angeschlossen, Artur ist Chef einer zwielichtigen Truppe und betreibt ein berüchtigtes Lokal, in dem alle gesellschaftlichen Schichten feiern. Carl arbeitet bei der UFA und lernt die Filmgrößen dieser Zeit kennen.
Auch in den unsicheren Jahren des Umbruchs versuchen die Drei ihre Träume zu verfolgen. Das ist gar nicht so leicht, denn überall lauern Gefahren, spinnen sich Intrigen und die allgegenwärtige Gewalt fordert viele Opfer. Isi, Artur und Carl wissen, dass sie sich auf einander verlassen können. Sie vertrauen fest darauf, dass ihre Freundschaft sie unversehrt durch diese Zeiten bringen wird. Sie geben ihre Träume nicht auf.
Handlung
Carl macht sich auf den Weg nach Berlin, um Isi und Artur zu suchen. Kurz nach seiner Ankunft gerät er in die erste Straßenschlacht, bei der es zahlreiche Tote gibt. Und genau dort, im größten Tumult, steht plötzlich Isi vor ihm. Die Freude über das Wiedersehen ist groß und gemeinsam versuchen sie Artur zu finden, doch ihre Suche bleibt erfolglos. Artur ist durch den Krieg gezeichnet. Eine Maske verdeckt seine entstellte Gesichtshälfte. Er ist Chef einer Gaunerbande und verkehrt in der Berliner Unterwelt. Es ist Artur, der Isi und Carl ausfindig macht und die Freunde wieder vereint.
Carl bemüht sich erfolgreich um eine Anstellung bei der UFA und verliebt sich am Silvesterabend Hals über Kopf in Marlies. Doch irgendetwas stimmt nicht mit ihr. Immer wieder verschwindet Marlies für einige Tage, ohne zu sagen warum. Artur scheint etwas zu wissen, hält sich aber zurück. Als Carl hinter das Geheimnis kommt, ist es zu spät. Alles was ihm von Marlies bleibt, ist ihr kleiner Sohn Hans, den Carl trotz heftigsten Widerspruch seiner Freunde bei sich aufnimmt.
Isi kämpft zu Beginn an der Seite der Kommunisten und muss mit ansehen, wie Menschen grausam niedergemetzelt werden. Die zunehmende Radikalisierung missfällt ihr und sie zieht sich von der Bewegung zurück. Isi besinnt sich auf ihre Fähigkeiten, die sie schon in Thorn nutzte, um sich finanziell zu sanieren. Mit ihrer Menschenkenntnis und ausgefeilten Tricks beginnt sie reichen Leuten Geld aus der Tasche zu ziehen. Dabei lernt sie Aldo, Erbe eines Adelsgeschlechtes, kennen und lieben. Er ist es gewohnt, im Luxus zu leben. Ein ungleiches Paar und dennoch plant Aldo seine Isi zu heiraten. Die Frage ist nur, ob seine Familie dieser Hochzeit ohne Weiteres zustimmen wird.
Artur hat sein Gespür für die Entwicklung der Dinge nicht verloren. Als erstes eröffnet er zwei erfolgreiche und berüchtigte Berliner Lokale, die sowohl einflussreiche und wohlhabende Leute als auch allerlei Ganoven anziehen. Später erkennt er, dass der Immobilienmarkt eine einträgliche Zukunft verspricht. Artur möchte das zwielichtige Milieu hinter sich lassen und zu einem ehrenwerten Geschäftsmann aufsteigen. Doch der Weg ist steinig und nicht jeder hat ein Interesse daran, dass Arturs Aufstieg gelingt.
Meinung
Nach wenigen Seiten war ich wieder mitten drin, in der Geschichte. Zu deutlich war mir der erste Teil „Schatten der Welt“ noch im Gedächtnis. Andreas Izquierdo erzählt in „Revolution der Träume“ detailgetreu vom Berliner Leben kurz nach dem Ersten Weltkrieg. Vom Glamour der berüchtigten 1920iger Jahre ist zu dem Zeitpunkt kaum was zu spüren. Das Land und vor allem Berlin ist in Aufruhr. Straßenkämpfe mit kriegsähnlichen Charakter, Krankheit, bittere Armut, Kriegskrüppel und Flüchtlinge aus dem Osten prägen das Bild der Berliner Straßen. Die erste Demokratie hat es schwer sich gegen Rechtsnationale, Militär und Kommunisten zu behaupten. Mitten im Geschehen Isi, Carl und Artur, die auf einen Neuanfang hoffen, um ihre Träume zu verwirklichen.
Artur, der die Gunst der Stunde zu nutzen weiß, die furchtlose, temperamentvolle Isi, die für Gerechtigkeit eintritt und der unbedarfte, etwas naive Carl – drei ungleiche Freunde, die nach dem Krieg wieder zusammenfinden. Wie im letzten Band ist es Carl, der von ihren Erlebnissen berichtet und mit geschickt gesetzten Cliffhanger, die Spannung der Geschichte nie abflachen lässt. Carl findet sich auf dem Gelände der UFA unter den Stars der Zeit wieder. Lubitsch, Pola Negri und Emil Jannings.
Die Traumwelt des Films passt perfekt zu Carl und unterstreicht deutlich seinen Charakter als liebenswerten und aufrichtigen Traumtänzer. Trotz all dem Leid, dass er gesehen und erlebt hat, ist er immer noch dieser feine Mensch, der er immer war. Daher leide ich besonders mit, wenn ausgerechnet Carl böse mitgespielt wird. Jeder der drei Charakteren ist auf seine Weise liebenswert und absolut authentisch. Es ist ihre besonders tiefe Freundschaft, die den Zauber für mich ausmacht, denn egal welche Probleme es gibt, sie halten fest zusammen.
Auch andere Charaktere, die wir bereits aus „Schatten der Welt“ kennen, tauchen wieder auf. So hat Falk Boysen den Krieg überlebt und sich den Freikorps in Berlin angeschlossen. Seine Schwester hat nur einen kleinen, aber sehr wirksamen Auftritt. Anna, die ehemalige Magd der Boysens arbeitet nun für Artur. Carl lernt seinen Onkel aus Riga kennen, der vor den Russen fliehen musste und erfährt etwas über die Familie seiner Mutter. Doch nicht alle meinen es gut mit den drei Freunden. Oftmals wird ihr Vertrauen und ihre Hilfsbereitschaft missbraucht und vermeintliche Freunde werden schnell zu Feinden.
In „Revolution der Träume“ begleiten wir Isi, Artur und Carl durch das turbulente und gefährliche Berlin nach dem Ersten Weltkrieg. Der Autor schildert anschaulich, wie es damals zuging. Er erzählt von den vielen Toten, aber auch von den Lebenswirklichkeiten der Reichen und der Armen und der Flüchtlinge aus dem Osten. Von politischen Lügen, falschen Entscheidungen und der maßlosen Enttäuschung über den verlorenen Krieg.
Aber auch über eine Stadt, die sich neu erfindet und voller Chancen steckt, wie zum Beispiel der aufstrebende Film und die zahlreichen Kinos, die in Berlin aus dem Boden schießen. Es sind zwar Nebenschauplätze, allerdings kann ich Carls Euphorie über „Das Cabinet des Dr. Caligari“ nachempfinden. In diesem Roman finden alle ihren Platz, die verlorenen Seelen, die Stars ebenso wie die Mächtigen dieser Zeit.
Ich konnte das Buch kaum weglegen, doch je näher ich dem Ende kam, so langsamer versuchte ich zu lesen. Ich wollte keinen Abschied nehmen müssen und wieder ein Jahr auf den nächsten Teil warten. Ich fühle mich, wie auch beim ersten Teil, als vierte Freundin. Die Entwicklung der Erzählung ist nicht leicht zu durchschauen ebenso wie einige Figuren mich ganz schön in die Irre geführt haben.
Ein Falk Boysen ist und bleibt natürlich der Böse. Doch beispielsweise Anna, die ehemalige Dienstmagd aus Thorn, ist sie vertrauenswürdig oder spielt sie ein hinterhältiges Spiel? Warum taucht Carls Onkel immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort auf? Zufall? Durch die fesselnde Erzählweise des Autors bleibt der Roman über seinen 500 Seiten Umfang hinweg spannend. Ich freue mich auf den dritten Teil, um zu erfahren, wie es mit Isi, Artur und Carl weitergeht.
Fazit
„Revolution der Träume“ hat mich genauso begeistert wie „Schatten der Welt“. Ein erlebnisreicher Roman. Großes Kino!
Ich bedanke mich herzlich bei Lovelybooks und dem DuMont Buchverlag für das Rezensionsexemplar.
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