Offene See

Benjamin Myers
aus dem Englischen von Ulrike Wasel, Klaus Timmermann
erschienen im DuMont Buchverlag, 2021
Rezension
Kurzmeinung
Offene See handelt von einer unkonventionelle Freundschaft, die einem jungen Mann ermutigt, seinen eigenen Weg zu gehen. Außergewöhnlich.
Inhalt
Frühjahr 1946. Der Zweite Weltkrieg ist vorüber, dennoch sind seine Spuren noch sichtbar. Der junge Robert aus dem industriellen Norden Englands hat die Schule beendet und wird, wie sein Vater und Großvater, sein Leben als Bergmann unter Tage zubringen. Doch bevor es soweit ist, möchte er diesen einen Sommer die Freiheit genießen und das Meer sehen. So begibt er sich auf Wanderschaft Richtung südlicher Küste.
Eines Tages lernt er die lebenserfahrene und etwas verschrobene, unangepasste Dulcie und ihren Hund Butler kennen. Sie lebt allein in einem Cottage mit Blick auf das Meer. Robert bleibt einige Zeit und geht ihr zur Hand. Er mäht die Wiese, repariert den Zaun und setzt ein kleines Atelier wieder in Stand. Durch die lebenserfahrene Dulcie lernt Robert eine völlig neue Welt kennen, sie animiert ihn, herauszufinden, wer er ist. Für Robert eine wegweisende Begegnung.
Handlung
Der Zweite Weltkrieg ist beendet und doch sind die Auswirkungen in England noch spürbar. Robert wuchs im industriellen Norden auf, wo der Kohlebergbau den Alltag bestimmt. Auch er wird, wie sein Vater und Großvater unter Tage arbeiten. Bevor es jedoch soweit ist, möchte er das Meer sehen, er möchte an die schönen Küsten des Landes, wo das Meer klar und blau und aufbrausend ist, er möchte für eine kurze Zeit hinaus in die Welt und sich treiben lassen. Deshalb geht er nach dem Schulabschluss auf Wanderschaft.
Hier und da nimmt er für ein paar Tage Hilfsarbeiten an, um sich etwas zu Essen zu verdienen. Nie bleibt er lange an einem Ort, denn er will die offene See sehen. Eines Tages kommt er an einem verwittertem Cottage vorbei. Die Dame, die im Cottage lebt, bietet ihm eine Tasse Tee an. Sie unterhalten sich.
Eine Dame wie Dulcie ist Robert bisher nicht begegnet. Sie ist unverheiratet und hat unkonventionelle Ansichten, die sie ohne jede Scham offen ausspricht. Robert ist eingeschüchtert und fasziniert zugleich. Neben ihrer außergewöhnlichen Art, besitzt Dulcie auch noch eine große Auswahl an Lebensmitteln, in einer Zeit, in der diese noch rationiert sind. Sie lädt Robert ein zum Essen zu bleiben, dafür bietet er ihr ihre Hilfe an.
In den folgenden Tagen mäht Robert die Wiese, stutzt die Hecke, damit Dulcie vom Cottage aus wieder das Meer sehen kann. Die Zeit vergeht und Robert beginnt die Gespräche mit Dulcie zu genießen. Sie eröffnet ihn völlig neue Welten, gibt ihm Romane und Gedichte zu lesen und regt ihn an, mehr vom Leben zu wollen, als das, was vermeintlich für ihn vorgesehen ist. Die Tage vergehen und werden zu Wochen.
Tagsüber renoviert Robert das Atelier, das zum Cottage gehört und die restliche Zeit verbringt er am Strand. Im Atelier findet er einen Koffer voller Gedichte, die Dulcie gewidmet sind. Als Robert Dulcie auf die Gedichte anspricht, weist sie ihn forsch ab. Robert Neugier ist geweckt und er lässt nicht locker, bis Dulcie ihm von der Verfasserin der Gedichte erzählt. Am Ende werden diese Gedichte für Robert und Dulcie eine Veränderung herbeiführen, von der sie im Augenblick noch nichts ahnen.
Meinung
„Offene See“ ist ein Roman über Sehnsucht, Selbstfindung und über eine ungewöhnliche Freundschaft, die aus einer Zufallsbegegnung entsteht. Es macht Freude Roberts Entwicklung von einem schüchternen Jungen, zu einem redegewandten, jungen Mann zu erleben. Durch Dulcie animiert, beginnt er neue Möglichkeiten für sich zu entdecken, er erkennt, dass sein Lebensweg keinesfalls schon vorgegeben ist, wie er annahm. Vor allem diese Erkenntnis, die langsam in seine Gedanken einfließt, macht ihn selbstbewusster.
Benjamin Myers beschreibt die Wanderschaft seiner Figur in einer bildhaften, schönen Sprache. Die Landschaft Englands und der nie enden wollende Sommer sind wundervoll eingefangen. Ebenso hatte ich ein sehr genaues Bild von Dulcie und dem Cottage vor Augen.
Ich konnte mir diesen wissbegierigen, naturliebenden Robert die ganze Zeit nicht als Bergmann vorstellen und war sehr froh, als Dulcie ihm andere Möglichkeiten eröffnete. Die lebenskluge Frau und der junge Mann, der am Anfang seines Lebens steht, ergänzen sich fabelhaft. Robert hilft Dulcie Frieden mit der Vergangenheit zu schließen. Er bringt nicht nur ihr Grundstück und das Atelier in Schuss, sondern gibt Dulcie auch die Sicht auf die Offene See wieder, die sie lange Zeit nicht ertragen konnte. Ich habe es sehr genossen, ihre Gespräche über das Leben zu verfolgen. Auch mich hat Dulcie mit ihren Lebensweisheit und ihrer Lebenslust zum Nachdenken gebracht.
Fazit
Ein herausragender Roman über eine ungewöhnliche, aufrichtige Freundschaft.
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