Diese gottverdammten Träume

Richard Russo
aus dem Englischen von Monika Köpfer
erschienen im DuMont Buchverlag, 2016
Rezension
Kurzmeinung
In weiten Teilen sehr langatmig und ausschweifend. Dennoch lesenswert. Ist man zu dem Menschen geworden, der man sein wollte?
Inhalt
Der Roman „Diese gottverdammten Träume“ spielt in Empire Falls, im Bundesstaat Maine, ehemals eine florierende Kleinstadt. Aufstieg, Blütezeit und Verfall sind eng verknüpft mit der Familie Whiting, mehr oder weniger die Besitzer der Stadt. Mrs. Whiting besitzt auch den Diner „Empire Grill“, den Miles Roby seit fast zwanzig Jahren für sie führt. Jeden Tag auf’s Neue treffen sich dort die Bürger der Stadt, um über ihre Stadt zu philosophieren und sich die Zeit zu vertreiben.
Miles hat, bis auf die drei Jahren, die er auf dem College verbrachte, immer in Empire Falls gelebt. Damals kam er zurück, weil seine Mutter schwer erkrankte. Anstatt nach ihrem Tod seinen Abschluss zu machen, begrub er seine Träume und übernahm das Diner.
Seit jeher bemüht sich Miles es allen Recht zu machen. Trotz der Trennung hat er meist ein offenes Ohr für seine Ex-Frau, er kümmert sich um seine pubertierende Tochter Tick, steckt seinem leichtlebigen Vater Geld zu und sorgt sich um seinen jüngeren Bruder David. Einmal im Jahr nimmt er sich eine Auszeit und fährt an seinen Sehnsuchtsort Martha’s Vineyard. Doch statt seinen Träumen nachzugeben, hält er an seinen Verpflichtungen fest und kehrt jedes Mal zurück. Mittlerweile gibt es für Miles mehr Gründe in Empire Falls zu bleiben, als den Ort endgültig zu verlassen. Allen voran seine Tochter. Trotzdem lässt ihn die Sehnsucht nach einem anderen Leben nicht los.
Handlung
Miles Roby steht kurz vor seiner Scheidung. Endlich hat seine Ex-Frau Janine jemanden gefunden, der ihr ein vermeintlich besseres Leben bieten kann. Walt besitzt ein Fitness Studio und mit seiner Hilfe hat sie ihren Traum vom Idealgewicht erreicht. Janine sieht eine rosige Zukunft vor sich. Nur ihre gemeinsame Tochter Tick kann dem neuen Mann an der Seite ihrer Mutter nichts abgewinnen.
Miles jüngerer Bruder David, als junger Mann auf die schiefe Bahn geraten und seit einem schweren Unfall geläutert, hat tolle Ideen für die Umgestaltung des Diners, um mehr Kunden anzulocken. Er drängt seinen Bruder mit der alles kontrollierenden Mrs. Whiting zu reden, um eine Lizenz für den Alkoholausschank zu bekommen. Doch Miles Verhältnis zu Mrs. Whiting ist ambivalent. Einerseits hat sie seiner Mutter angestellt, nach dem die Fabriken in Empire Falls geschlossen wurden und sie sogar aufgenommen, als Miles Mutter im Sterben lag. Andererseits ist sie eine Frau, deren Macht und Kontrolle man sich nur schwer entziehen kann. Schon seit Jahren hat Miles den Eindruck, als ob Mrs. Whiting mit ihm spielt.
Eines Tages fällt Miles Blick zufällig auf einen Zeitungsartikel, in dem Fotos ehemaliger Empire Falls Bewohner veröffentlicht sind. Darunter seine Mutter und ein Mann, den er erst jetzt, 30 Jahre später, als die Person erkennt, der er wirklich war. Plötzlich setzt sich das Puzzle zusammen. Längst vergessene Erinnerungen kommen zurück. Miles wird klar, wie eng sein Schicksal mit dem, der Familie Whitings tatsächlich zusammen hängt.
Meinung
Mit dem Roman „Diese gottverdammten Träume“ gewann der Autor Richard Russo 2002 den Publitzer Preis. Zudem wurde die Geschichte mit einer hochkarätigen Besetzung verfilmt.
Es ist eine Geschichte, die von Träumen handelt. Träume, die vor uns liegen, aber vor allem, um die gescheiterten Träume. Der Wunsch von Grace, Miles Robys Mutter war es, dass ihr Sohn, der werden sollte, der er werden wollte. Sie setzte alles daran, ihm ein College weit weg vom Empire Falls zu ermöglichen. Doch er kehrte zurück, als sie im Sterben lag. Und er blieb. Kein College Abschluss, keinerlei Ambitionen auf ein Leben außerhalb Empire Falls. Miles übernahm die Leitung des Diners, die ihm Mrs. Whiting anbot, er heiratete Janine, die er nicht glücklich machen konnte und er wurde Vater. Zudem übernahm er noch die Verantwortung für seinen wesentlich jüngeren Bruder und seinen leichtfertigen Vater.
Nun mit Anfang 40 wird Miles bewusst, dass die Jahre an ihm vorbei gezogen sind und er nie derjenige geworden ist, der er werden wollte. Seine Ehe ist gescheitert und Empire Falls ist weiter verfallen. Nur sein Bruder David sagt Miles die Meinung und versucht ihn anzutreiben, damit er etwas ändert. Mich hat Miles mit seiner fehlenden Energie und es allen Recht machen zu wollen wahnsinnig gemacht. Er ist ein sympathischer Charakter, aber er besitzt absolut kein Durchsetzungsvermögen. Er lässt sich durch sein Leben treiben und andere fällen seine Entscheidungen. Warum ist er nach dem Tod seiner Mutter nicht zurück auf das College? Er stand kurz vor dem Abschluss. Verlor er mit seiner Mutter den Antrieb?
Meiner Ansicht nach wird Miles zwischen Pflichtbewusstsein und den Erwartungen anderer aufgerieben. Dennoch komme ich nicht umhin, ihm die Schuld für seine Misere zu geben. Er hätte seine Träume verwirklichen können, wenn er gewollt hätte. Er ist einfach in Empire Falls hängen geblieben. Nur ein Mal im Jahr bricht er aus und macht Urlaub auf Martha’s Vineyard. Ein Sehnsuchtsort seiner Kindheit, denn dort verbrachte Miles eine unbeschwerte Sommerwoche mit seiner Mutter Grace. In Rückblenden erfahren wir aus der Sicht des zehnjährigen Miles von dieser Woche, und von dem, was nach dem Urlaub geschah. Denn auch Grace‘ Träume erfüllten sich nicht.
Richard Russo zeichnet ein detailreiches Bild einer ehemals blühenden Kleinstadt, deren besten Zeiten längst vorbei sind und ihren Bewohner. Er beschreibt eine gewisse Trostlosigkeit, in der sich trotzdem noch viel Hoffnung auf Besserung findet. Aus wechselnden Perspektiven schildern die Charaktere ihr Leben und ihre Erwartungen an die Zukunft. Dadurch bekommt man als Leser ein umfängliches Bild zu jeder Figur. Vermeintlich unsympathische Charaktere, wie beispielsweise Jimmy und Zack Minty, werden für den Leser nachvollziehbar.
Verständlicherweise wollte der Autor alle, wirklich alle (!) Aspekte einbringen. Aus dem Grund ufert manches Kapitel zu sehr aus. Ich hatte das Gefühl, dass ich Seite für Seite las und dennoch nicht vorwärts kam. Ich gebe zu, dass ich einige Male Seiten überflogen und weitergeblättert habe.
Fazit
Eine zeitlose Geschichte über Träume, große und kleine, die wir alle haben. Manche werden wahr und bei anderen fragen wir uns, was wäre gewesen wenn. Der Autor porträtiert auf sehr liebevolle Weise das Leben in einer amerikanischen Kleinstadt zwischen der Erinnerung an bessere Tage und der Hoffnung auf eine glücklichere Zukunft. Dem Roman hätte es meiner Meinung nach gut getan, mehr auf das Wesentliche zu konzentrieren. So ist das Buch stellenweise sehr ausschweifend und detailverliebt. Dieses Manko wird von der Authentizität der Charaktere und dem Thema an sich größtenteils wieder gut gemacht.
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