Die Übersetzerin

Jenny Lecoat
aus dem englischen übersetzt von Anke Kreutzer
erschienen bei Bastei Lübbe, 2021
Rezension
Kurzmeinung
„Die Übersetzerin“ erzählt eine packende Geschichte, über die Zeit der deutschen Besatzung auf den Kanalinseln.
Inhalt
Nach ihrer Flucht vor den Nazis, wähnt sich Hedy auf der englischen Kanalinsel Jersey in Sicherheit, doch auch diese Inseln werden 1940 von den Deutschen besetzt. Es beginnt ein Spießrutenlauf, denn die englischen Behörden geben Hedys Status als Jüdin an die Besatzer weiter.
Doch wo kann man besser untertauchen als beim Feind selbst? So bewirbt Hedy sich als Übersetzerin bei der deutschen Besatzungsmacht und wird angestellt. Dort führt sie ihren eigenen kleinen Kampf gegen das Regime.
Obwohl sie die Deutschen zutiefst verabscheut, kann sie ihre Gefühle für den Offizier Kurt Neumann nicht leugnen. Die beiden werden ein Liebespaar. Als sich die Lage auf den Inseln zuspitzt, muss Hedy um ihre Sicherheit fürchten. Mit Kurts Hilfe versteckt sie sich, um den Transporten zu entgehen. Der Hunger auf Jersey ist allgegenwärtig. Kann Kurt es schaffen, Hedys Leben zu retten?
Handlung
Hedy ist in Wien aufgewachsen. Als die Nazis den österreichischen Anschluss verkünden, wird schnell klar, dass Menschen jüdischen Glaubens in Gefahr sind. Zusammen mit ihrer Schwester Roda wagt sie die Flucht, auf der die Schwestern getrennt werden. Hedy landet auf Jersey, eine der englischen Kanalinseln. Dort findet sie in Anton, der ebenfalls aus Österreich geflohen ist, einen guten Freund.
Mit Schrecken müssen die beiden mitansehen, wie auch ihre Insel von den Deutschen besetzt wird. Für Hedy beginnt nun von neuem der Kampf ums Überleben. Durch einen Tipp von Antons Freundin Dorothea, bewirbt sie sich als Übersetzerin im deutschen Besatzungsbüro und wird aus Mangeln an Bewerberinnen tatsächlich eingestellt. Auch wenn Hedy mit Widerwillen dort arbeitet, bringt der Verdienst sie über die Runden und sie sabotiert ein klein bisschen das System, in dem sie wertvolle Benzincoupons mitgehen lässt.
Schnell merkt Hedy, dass sie die Aufmerksamkeit eines Leutnants auf sich gezogen hat, dem sie zunächst kühl begegnet. Dennoch kann sie ihre Gefühle nicht lange leugnen. Kurt und Hedy werden ein Paar, aber in der Öffentlichkeit dürfen sie sich nicht als solches zu erkennen geben, denn ihre Liebe könnte beide das Leben kosten.
Spätestens mit der Invasion der Alliierten in der Normandie, spitzt sich die Lage auf den Kanalinseln auf prekäre Weise zu. Die Inseln sind vom französischen wie vom britischen Festland abgeschnitten. Die Bevölkerung hungert noch mehr als in den Jahren zuvor und auch die Versorgung der Besatzer bricht zusammen. Je weniger Menschen auf der Insel sind, umso besser. Als Jüdin ist Hedy nicht mehr sicher. Doch wo soll sie hin? Es ist unmöglich Jersey zu verlassen. Kurt hat einen kühnen Plan, der nur mit Hilfe von Dorothea gelingen kann. Während die Geheimpolizei alles daran setzt, Hedy aufzuspüren, versuchen Kurt und Dorothea Hedys Spuren zu verwischen. Nun bleibt nur die Hoffnung, dass die Alliierten den Krieg bald für sich entscheiden.
Meinung
Geschichten, die während der deutsche Besatzung auf den Kanalinseln spielen, sind rar. Deshalb hat mich der Roman neugierig gemacht. Die Autorin schildert das Leben auf der Insel Jersey sehr intensiv. Die Versorgungslage, die immer knapper werdenden Lebensmittel, den Hunger und die Not, aber auch den Umgang mit den Besatzern. Man spürt förmlich, wie der Hass der englischen Bevölkerung gegenüber den Deutschen mit der Zeit wächst. Die Inselbewohner fühlen sich von ihrem Heimatland verraten und den Deutschen ausgeliefert. Bis auf wenige Momente des Aufbegehrens können sie den Besatzern nicht viel entgegensetzten. Der Schreibstil ist dabei mal fast sachlich, dann wieder eindringlich, somit bekam ich eine genaue Vorstellung von der Insel und der angespannten Stimmung zu dieser Zeit.
Hedy ist von allen Informationsquellen abgeschnitten, über die sie etwas von ihren Geschwistern oder Eltern erfahren könnte. Durch ihre Erinnerungen erfahren wir ein bisschen über ihre Vergangenheit, ihre Familie und ihre Flucht. Zu Beginn ist Anton ihre einzige Bezugsperson auf der Insel. Ihm gegenüber verhält sie sich sehr besitzergreifend und kann seine Freundin Dorothea nur schwer akzeptieren. Öfters habe ich von Hedy den Eindruck eines verwöhnten, kleinen Mädchens. Sonderlich sympathisch ist sie mir zu Anfang nicht, auch im weiteren Verlauf des Romans bin ich nur zögerlich mit ihr warm geworden. Sie stammt aus einer reichen, bürgerlichen Familie und es schimmern immer wieder leicht arrogante Züge durch.
Kurt hat ein Auge auf Hedy geworfen und spricht sie an, doch Hedy blockt seine Annäherungsversuche ab. Ich kann sie da gut verstehen, er ist der Feind und sie hat in Wien erlebt, wie die Nazis mit Juden umgehen. Obwohl er zu diesem Zeitpunkt nichts von ihren jüdischen Wurzeln weiß. Die plötzliche Kehrtwende in dieser Beziehung hat mich dann überrascht, da ich angenommen hätte, dass sie sich erst einmal vorsichtig aneinander herantasten. Wahrscheinlich ist das der Grund, warum die große Liebe wenig glaubhaft scheint. Für mich haben zwischen den Charakteren keinerlei Funken gesprüht.
Spannender hingegen ist für mich Kurts Sicht der Dinge. Wie er seine Kameraden sieht, seine Ansichten über den Krieg und das Regime und wie sich seine Haltung im Verlauf des Romans ändert. Die Art und Weise wie er versucht an Informationen zu kommen, um Hedy zu schützen. Kurt ist für mich der eigentliche Hauptcharakter im Roman, weil er interessanter und facettenreicher angelegt ist, als Hedys Figur.
Er ist die treibende Kraft hinter allem, der Akteur, der Hedy versteckt, und sie mit seinen Einfällen aus brenzligen Situationen rettet. Hedy ist bei allem ziemlich passiv. Auch seine Emotionen sind besser nachvollziehbar. Im Gegensatz zu ihm bleibt Hedys Figur blass. Ich hätte mir mehr Tatkraft von Hedy gewünscht, schließlich geht es um ihr Leben.
Selbst die, auf den ersten Blick sehr naiv wirkende, Dorothea, auf die Hedy gerne herabsieht, ist wesentlich taffer, patenter und mutiger als Hedy. Aus meiner Sicht dominieren Kurt und Dorothea die Erzählung weitaus mehr, als der eigentliche Hauptcharakter Hedy, denn die Zwei bringen die Geschichte voran, Ich hätte eine stärkere Hedy als Romanfigur erwartet. Auch jetzt bin ich mir noch nicht sicher, ob ich Hedy überhaupt mag. Diese verbotene Liebe hätte jedenfalls noch wesentlich mehr Potential gehabt.
Fazit
Interessantes, selten behandeltes Thema des Zweiten Weltkrieges, das auf einer wahren Geschichte beruht. Streckenweise zeigt die Handlung einige Schwächen, was vor allem an der blassen Hauptfigur liegt. Die Stärke des Romans liegt eindeutig in der Schilderung der Besatzungszeit.
Ich bedanke mich beim Verlag Bastei Lübbe für das Rezensionsexemplar.
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